Bewertung ökologischer Zustand
Bei dem Fisch-Bewertungssystem FAT-TW handelt es sich um ein modular aufgebautes, multimetrisches Verfahren. In den zwei Modulen „Zusammensetzung der Fischartengemeinschaft“ und „Abundanz/Altersstruktur“ werden verschiedene Metriks berechnet:
- die Artenzusammensetzung auf Gildenebene (N = 4 Metriks) sowie
- die Abundanz auf der Grundlage ausgewählter Indikatorarten (N = 6 Metriks).
Modul „Artenspektrum“
Auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden Daten wurden die historische Artengemeinschaft und damit der Bewertungsmaßstab belastbar abgeleitet. Das Artenspektrum ist nach ökologischen Gilden (Metriks 1 – 4) differenziert:
- Marin-Juvenile Arten
- Marin-Saisonale
- Ästuarine Residente Arten
- Diadrome Arten
Die Vertreter dieser Gilden haben mehr oder weniger spezifische Ansprüche an ihren Lebensraum und können über Fehlen oder Präsenz eine Indikation spezifischer Beeinträchtigungen (stoffliche und gewässerstrukturelle Belastung) unterstützen. Die Bewertung erfolgt über die %-Abweichung der Artenzahl vom jeweiligen gildenspezifischen Referenzwert.
Modul „Abundanzindikatoren und Altersstruktur“
Nach WRRL ist der Aspekt „Abundanz“ in die Bewertung einzubeziehen. Dies ist auf der Grundlage von artspezifischen Referenzhäufigkeiten umgesetzt worden. Im Rahmen der Entwicklung des Bewertungsverfahrens war es allerdings nicht möglich, für alle historisch belegten Arten Referenzhäufigkeiten herzuleiten. Aus diesem Grund ist die quantitative Betrachtung letztlich auf sechs ausgewählte ‚Indikatorarten’ (Metriks 5 – 10) beschränkt worden. Die Auswahl der Indikatorarten, deren absolute Abundanz - „übersetzt“ in sechs artspezifische definierte Kategorien - jeweils als Messgröße herangezogen wird, erfolgte unter verschiedenen Gesichtspunkten:
- naturschutzfachlich bedeutsam (v. a. FFH-Arten wegen der Synergie mit Natura 2000)
- unterschiedliche Habitatansprüche (benthisch, (bentho)pelagisch, Hartsubstrat- und Weichsubstratarten)
- artspezifische Funktionen der Übergangsgewässer
- kommerziell bedeutsam
Die Bewertung erfolgt über die %-Abweichung von der jeweils artspezifisch definierten Referenz (Abundanzklasse 6). Folgende Arten (Tab. 1) wurden als Indikatoren ausgewählt: Finte (Alosa fallax), Stint (Osmerus eperlanus), Flunder (Platichthys flesus), Großer Scheibenbauch (Liparis liparis), Hering (Clupea harengus) sowie Kaulbarsch (Gymnocephalus cernua).
Metric |
Art |
Altersgruppen- |
Abundanzbewertung relevanter Fangzeitpunkt |
Abundanzbewertung |
5.1 |
Finte 0+ |
< 11 |
nur Herbstdaten |
nur meso- und polyhalin (Mittelwert) |
5.2 |
Finte subadult |
11 - 23 |
Frühjahr oder Herbst (Maximum) |
nur meso- und polyhalin (Mittelwert) |
5.3 |
Finte adult |
> 23 |
nur Frühjahrsdaten |
oligo- bis polyhalin (Mittelwert) |
6.1 |
Stint 0+ |
< 7 |
nur Herbstdaten |
nur meso- und polyhalin |
6.2 |
Stint subadult |
7 - 10 |
nur Frühjahrsdaten (wenn ggf. Herbstabundanzen höher als im Frühjahr, dann Mittelwert aus Frühjahr und Herbst) |
oligo- bis polyhalin (Mittelwert) |
6.3 |
Stint adult |
> 10 |
nur Frühjahrsdaten (wenn ggf. Herbstabundanzen höher als im Frühjahr, dann Mittelwert aus Frühjahr und Herbst) |
oligo- bis polyhalin (Mittelwert) |
7 |
Flunder |
keine Differenzierung |
Frühjahr und Herbst (Mittelwert) |
oligo- bis polyhalin (Mittelwert) |
8 |
Großer Scheibenbauch |
keine Differenzierung |
Frühjahr und Herbst (Maximum) |
nur meso- und polyhalin (Mittelwert) |
9 |
Hering |
keine Differenzierung |
Frühjahr und Herbst (Mittelwert) |
nur meso- und polyhalin (Mittelwert) |
10 |
Kaulbarsch |
keine Differenzierung |
Frühjahr und Herbst (Mittelwert) |
nur oligohalin |
Wenngleich nach WRRL für die Übergangsgewässer nicht zwingend notwendig, wurde auch der Aspekt „Altersstruktur“ in die Bewertung einbezogen, da sich hierüber Aufschlüsse ergeben können, ob die Ästuare ihre Funktion als Reproduktions- und „Kinderstube“ (Spiegel u. a. für gewässerstrukturelle Bedingungen, Wasserqualität) ausreichend erfüllen. Dabei ist die altersgruppenspezifische Ebene nicht als eigenständiges Metrik in das Bewertungsverfahren aufgenommen worden, sondern wird im Rahmen der Häufigkeitsbetrachtung (als Submetrik, s. Tabelle oben) berücksichtigt und ist ausschließlich auf die Arten Finte und Stint beschränkt, da diese im gesamten Übergangsgewässer in allen Altersgruppen vertreten sind. Die Bewertung erfolgt vor dem Hintergrund artspezifisch festegelegter Referenzhäufigkeiten (als Abundanzklassen, s.o.) für die Altersgruppen „juvenil“, „subadult“ und „adult“. Die Zuordnung zu den Altersgruppen basiert auf der Fischgröße (artspezifische Richtwerte sind vorgegeben, s. Tabelle 1, u. a. LAVES, Dezernat Binnenfischerei Hannover, schriftl.).
Da die Übergangsgewässer für die ausgewählten Indikatorarten jeweils spezifische ökologische Funktionen übernehmen, erlauben detektierte Defizite gewisse Rückschlüsse auf den Ort und die Art einer Belastung. Dieses Modul kann letztlich die Auswirkungen verschiedener Stressoren (Veränderungen hydromorphologischer Aspekte, stoffliche Belastungen, Durchgängigkeit) widerspiegeln.
Gesamtbewertung
Der ökologische Zustand ergibt sich aus der Abweichung des aktuellen Zustands von der Referenz. Der Aspekt „Artenspektrum“ wird auf der Ebene der jeweiligen ökologischen Gilden und der Aspekt „Abundanz“ auf der Ebene ausgewählter Indikatorarten bewertet. Die Bewertung erfolgt computergestützt auf Grundlage einer Tool internen ‚Datenbank’, die die historischen und artspezifischen Charakteristika (Zugehörigkeit zu Nutzer-, Habitat-, Reproduktionsgilden, artspezifische Häufigkeiten etc.) umfasst. Die Gesamtbewertung ergibt sich aus dem Mittelwert der Ergebnisse der beiden Module „Vollständigkeit Artenspektrum“ und „Abundanz/Altersstruktur“.
Die Fisch-Referenzgemeinschaft (Artenspektrum, z. T. auch Häufigkeiten) für Übergangsgewässer wurde dafür vornehmlich aus historischen Arbeiten hergeleitet, die überwiegend aus dem Zeitraum von ca. 1870 bis 1920 datieren, d. h. einen Zeitraum vor bzw. am Beginn der ersten großen Strombaumaßnahmen. Da bereits zu diesem Zeitpunkt die Ästuare anthropogenen Nutzungen unterlagen, stellt die Referenz zwar keinen pristinen Zustand dar, repräsentiert aber im Hinblick auf die Fischfauna dennoch einen (sehr) guten ökologischen Zustand, da die Artenvielfalt hoch war und die wesentlichen Charakterarten der Ästuare wie z. B. Stör, Nordseeschnäpel, Maifisch (Alosa spp.), Lachs etc. noch in großen Mengen gefangen wurden.