Fließgewässertypologie
Die natürliche Vielfalt individueller Gewässer überschaubar zu machen, indem man sie nach gemeinsamen Merkmalen ordnet, wird als Typologie bezeichnet. Gewässer, die aufgrund der naturräumlichen Gegebenheiten ähnliche morphologische, physikalisch-chemische, hydrologische oder biozönotische Merkmalen aufweisen, werden in „Typen“ zusammengefasst. Die Beschreibung der naturnahen Ausprägung dieser Gewässertypen wird als Referenzbedingung bezeichnet.
Um eine Orientierungshilfe bei der ökologischen Verbesserung der Gewässer im Rahmen von Renaturierungs- oder Unterhaltungsmaßnahmen zu haben, bedient man sich in der Wasserwirtschaft – bereits vor der Einführung der WRRL – der Gewässertypologie. Die Ausweisung von Gewässertypen ist jetzt in der WRRL elementare Grundlage für die typspezifische Bewertung, die Ausweisung der Wasserkörper und die Aufstellung von Messnetzen für das Monitoring. Aber auch die Erstellung der Bewirtschaftungspläne und damit die Maßnahmenplanung erfolgt typspezifisch.
Anforderungen der WRRL
Zur Ableitung von Gewässertypologien sind gemäß WRRL zwei verschiedene Systeme anwendbar:
- System A erlaubt eine grobe Charakterisierung von Fließgewässern nach Ökoregion, Höhenlage, Einzugsgebietsgröße und Geologie (jeweils drei bis vier Kategorien) und eignet sich eher als grobes typologisches Gerüst.
- System B enthält neben den groben Klassifikationsparametern von System A eine Vielzahl „optionaler Parameter“ für eine freiere, auch an die naturräumlichen Gegebenheiten angepasste, Typableitung und -beschreibung. System B erlaubt aufgrund der optionalen Parameter die Entscheidung für biologisch besonders relevante Parameter. Dies sind zum Beispiel bei Fließgewässern die Quellenentfernung, das Säurebindungsvermögen oder die mittlere Substratzusammensetzung.
Methodisches Vorgehen zur Ableitung der Fließgewässertypologie
Bei der Vorgehensweise zur Erstellung der deutschen Fließgewässertypologie ist das System B nach EG-WRRL gewählt worden. Die zur Ableitung der Fließgewässertypologie Deutschlands angewendeten Parameter sind in Tabelle 1 zusammengestellt.
Obligatorische Deskriptoren |
|
Ökoregion |
4: Alpen (und Alpenvorland) |
Höhenlage | > 800 m 200 – 800 m < 200 m |
Größe |
klein: 10 – 100 km² (= Bach) |
Geologie |
kalkig |
Optionale Deskriptoren |
|
Gewässerlandschaften |
differenzierte Geologie |
Die Gewässerlandschaften von Briem (2003) sind das „Herzstück“ der deutschen Fließgewässertypologie. Gewässerlandschaften sind in Bezug auf die gewässerprägenden geologischen, geomorphologischen und pedologischen (bodenkundlichen) Eigenschaften mehr oder weniger homogene Landschaftsräume. Sie stellen den Verbreitungsschwerpunkt von einem bis mehreren Gewässertypen dar.
Für die Bundesrepublik Deutschland wurden von Briem (2003) in den drei geografischen Haupteinheiten Deutschlands (Norddeutsche Tiefebene, Mittelgebirge, Alpen und Alpenvorland) 26 Fließgewässerlandschaften ausgewiesen (Abb. 1). Die ausgewiesenen Gewässerlandschaften charakterisieren die Fließgewässer in Bezug auf Längsprofile/Gefälle, Substrate, Talformen, Auenformen, Bett- und Uferformen, Linienführung und Lauftyp sowie Geschiebeführung. Hinzu kommen noch vielfältige Zusatzinformationen, z. B. zum Abflussgang, zur geogenen Gewässerchemie und zur Entstehungsgeschichte der Gewässer. Die Gewässerlandschaften integrieren damit eine Reihe von Gewässer relevanten Informationen und stellen so das „Herzstück“ der Fließgewässertypologie Deutschlands dar.
Abb. 1: Karte der Fließgewässerlandschaften (Daten nach Briem 2003). |
In der Typentabelle (= Typologie-System) sind die Parameter und deren Ausprägungen bzw. Klassen, die zur Ausweisung eines konkreten Typs herangezogen worden sind, dargestellt (Tab. 2).
Fließgewässertypen
Mit dem Bearbeitungsstand April 2008 liegen insgesamt 25 biozönotisch bedeutsame Fließgewässertypen (= „LAWA-Typen“) für Deutschland vor: Vier für die Ökoregion der Alpen und des Alpenvorlandes, acht für das Mittelgebirge, neun für das Norddeutsche Tiefland sowie vier Fließgewässertypen, die als „Ökoregion unabhängige“ Typen in verschiedenen Ökoregionen verbreitet sind. V. a. für die Bewertung der Qulaitätskomponente Makrozoobenthos sind weitere Subtypen ausgewiesen worden.
Typen der Alpen und des Alpenvorlandes |
Typ 1: Fließgewässer der Alpen |
Typ 2: Fließgewässer des Alpenvorlandes |
Typ 3: Fließgewässer der Jungmoräne des Alpenvorlandes |
Typ 4: Große Flüsse des Alpenvorlandes |
Typen des Mittelgebirges |
Typ 5: Grobmaterialreiche, silikatische Mittelgebirgsbäche |
Typ 5.1: Feinmaterialreiche, silikatische Mittelgebirgsbäche |
Typ 6: Feinmaterialreiche, karbonatische Mittelgebirgsbäche |
Typ 7: Grobmaterialreiche, karbonatische Mittelgebirgsbäche |
Typ 9: Silikatische, fein- bis grobmaterialreiche Mittelgebirgsflüsse |
Typ 9.1: Karbonatische, fein- bis grobmaterialreiche Mittelgebirgsflüsse |
Typ 9.2: Große Flüsse des Mittelgebirges |
Typ 10: Kiesgeprägte Ströme |
Typen des Norddeutschen Tieflandes |
Typ 14: Sandgeprägte Tieflandbäche |
Typ 15: Sand- und lehmgeprägte Tieflandflüsse |
Typ 15_g: Große sand- und lehmgeprägte Tieflandflüsse |
Typ 16: Kiesgeprägte Tieflandbäche |
Typ 17: Kiesgeprägte Tieflandflüsse |
Typ 18: Löss-lehmgeprägte Tieflandbäche |
Typ 20: Sandgeprägte Ströme |
Typ 22: Marschengewässer |
Typ 23: Rückstau- bzw. brackwasserbeeinflusste Ostseezuflüsse |
Ökoregion unabhängige Typen |
Typ 11: Organisch geprägte Bäche |
Typ 12: Organisch geprägte Flüsse |
Typ 19: Kleine Niederungsfließgewässer in Fluss- und Stromtälern |
Typ 21: Seeausflussgeprägte Fließgewässer |
Insbesondere für die Bewertung anhand der Qualitätskomponente Makrozoobenthos sind diese 25 LAWA-Typen z. T. in weitere Subtypen unterteilt worden.
Steckbriefe der Fließgewässertypen
Zu den 25 Gewässertypen liegen Kurzbeschreibungen („Steckbriefe“) vor, welche die Typen im Hinblick auf ihre abiotischen und biotischen Eigenschaften (wesentliche Charakteristika der Lebensgemeinschaften) näher beschreiben (Pottgiesser 2018, Pottgiesser & Sommerhäuser 2004, 2008) (Abb. 2). Die Steckbriefe dienen zur Veranschaulichung und als allgemeine Verständigungsgrundlage. Sie sind ein Beitrag zur Beschreibung der Referenzbedingungen, können jedoch nicht als alleinige Grundlage (Referenzzustand) eines biozönotischen Bewertungssystems benutzt werden.
Wie in jeder Typologie beschreiben die Steckbriefe idealtypische Ausprägungen und können nicht jede Übergangsvariante oder individuelle Ausprägung wiedergegeben. Die Steckbriefe sind auf keinen Fall als Beschreibung von Ist-Zuständen zu verstehen oder mit diesen zu verwechseln.
Mit Bearbeitungsstand Dezember 2018 liegt ein aktualisierter Stand von Begleittext und Steckbriefen der Fließgewässertypen vor (Pottgiesser 2018). Die Überarbeitung betrifft v. a. die morphologischen Beschreibungen, die Charakterisierungen der biologischen Qualitätskomponenten MZB, Makrophyten und Phytoplankton, die Zuordnung der morphologischen Typen und Aktualisierung der Typen der biologischen QK, Validierung der physiko-chemischen Leitwerte sowie Verweis auf trockenfallende bzw. grundwassergeprägte Varianten der Typen unter „Hydrologie“.
Ergänzt werden diese Steckbriefe durch die so genannten „Hydromorphologischen Steckbriefe“ (Abb. 3) (Dahm et al. 2014), die detailliert die hydromorphologischen Referenzbedingungen der Fließgewässertypen beschreiben. Zusätzlich enthalten die hydromorphologischen Steckbriefe auch die typspezifischen hydromorphologischen Bedingungen, die nach heutigem Kenntnisstand zur Erreichung des guten ökologischen Zustandes erforderlich sind.
Fließgewässertypenkarte
Die kartografische Ausweisung der Typen für individuelle Gewässer erfolgt in Fließgewässertypenkarten. Die Erstellung von Typenkarte erfolgt auf Grundlage von durch den Menschen weitgehend unveränderlichen Rahmenbedingungen, wie sie z. B. in geologischen Karten, naturräumlichen Gliederungen, Talbodengefällen und hydrogeologischen Karten wiedergegeben sind.
Allen berichtspflichtigen Fließgewässer mit einem Einzugsgebiet >10 km² ist ein entsprechender Gewässertyp zugewiesen worden.
Für die Fließgewässer existieren zwei Typenkarten: eine sogenannte „Bewirtschaftungskarte (= LAWA-Typenkarte) und eine „Fachkarte (= Länder-Typenkarte) (Abb. 4).
Die „LAWA-Typenkarte“ (Daten des Berichtsportal WasserBLIcK/BfG, 29.03.2022) entspricht der offiziellen Fließgewässertypenkarte Deutschlands, mit den an die EU berichteten Typen für die berichtspflichtigen Gewässer bzw. Wasserkörper. Hier sind z. T. die für einzelne Wasserkörper aggregierten Typen dargestellt, wobei der dominierende Gewässertyp eines Wasserkörpers bzw. der Monitoringmessstelle die Typzuweisung des gesamten Wasserkörpers bestimmt. Die „LAWA-Typenkarte“ wird vorrangig für Fragen bzgl. der Gewässerbewertung und -bewirtschaftung gemäß WRRL genutzt.
In der „Länder-Typenkarte“ (Fachdaten der Bundesländer aus den Jahren 2009 -2015) erfolgte die Typausweisung teilweise detaillierter und damit kleinräumiger, d. h. nicht für gesamte Wasserkörper sondern auch für kürzere Gewässerabschnitte gemäß der naturräumlichen Rahmenbedingungen. Diese „wissenschaftlichere“ Karte ist daher v. a. die Grundlage für konkrete Fragestellungen oder eine Orientierungshilfe bei der ökologischen Verbesserung der Gewässer im Rahmen von Ausbau- oder Unterhaltungsmaßnahmen.
Häufigkeit und Verbreitung
Da die beiden Ökoregionen „Westliches Mittelgebirge“ und „Norddeutsches Tiefland“ bundesweit die größten Flächenanteile der „LAWA-Typenkarte“ (Daten des Berichtsportal WasserBLIcK/BfG, 29.03.2022) ausmachen, sind die Typen 5 und 14 die beiden häufigsten Fließgewässertypen. Im Alpenvorland ist der Typ 2 der weit verbreitetste Fließgewässertyp (Tab. 3).
Fließgewässertypen, die nur kleinräumig verbreitet sind und damit in Bezug auf das Gewässernetz nur einen kleinen Anteil ausmachen, sind der Typ 4: Große Flüsse des Alpenvorlandes, der Typ 15_g: Große sand- und lehmgeprägte Tieflandflüsse, der Typ 23: Rückstau- bzw. brackwasserbeeinflusste Ostseezuflüsse und der Typ 21: Seeausflussgeprägte Fließgewässer. Diese machen jeweils weniger als 1 % der Gewässerstrecke aus.
Fließgewässertyp |
Gewässerstrecke (km) |
Gewässerstrecke (%) |
|
Alpen und Alpenvorland |
|||
Typ 1 |
1.766,76 |
1,29 |
|
Typ 2 |
7.707,03 |
5,61 |
|
Typ 3 |
3.447,60 |
2,51 |
|
Typ 4 |
899,25 |
0,65 |
|
Mittelgebirge |
|||
Typ 5 |
20.181,07 |
14,69 |
|
Typ 5.1 |
5.138,72 |
3,74 |
|
Typ 6 |
12.266,70 |
8,93 |
|
Typ 7 |
4.604,64 |
3,35 |
|
Typ 9 |
7.460,53 |
5,43 |
|
Typ 9.1 |
7.659,90 |
5,57 |
|
Typ 9.2 |
5.464,70 |
3,98 |
|
Typ 10 |
1.953,27 |
1,42 |
|
Norddeutsches Tiefland |
|||
Typ 14 |
14.890,98 |
10,84 |
|
Typ 15 |
4.379,05 |
3,19 |
|
Typ 15_g |
1.907,63 |
1,39 |
|
Typ 16 |
8.082,74 |
5,88 |
|
Typ 17 |
2.118,66 |
1,54 |
|
Typ 18 |
2.697,38 |
1,96 |
|
Typ 20 |
1.222,87 |
0,89 |
|
Typ 22 |
3.284,34 |
2,39 |
|
Typ 23 |
364,83 |
0,27 |
|
Ökoregion unabhängige Typen |
|||
Typ 11 |
5.574,77 |
4,06 |
|
Typ 12 |
1.370,52 |
1,00 |
|
Typ 19 |
97.88,25 |
7,12 |
|
Typ 21 |
1.154,52 |
0,84 |
|
Sonstige |
|||
Kanäle |
1.335,39 |
0,97 |
|
Sonstige |
694,95 |
0,51 |
|
Summe |
13.7417,06 |
100,00 |